12. Januar 2023 Sabine Metzger

“Weniger einkaufen, effizienter produzieren”

Die Green Guides GmbH aus Plankstadt will eine nachhaltige Food Kultur in Deutschland vorantreiben. Im Interview spricht Torsten von Borstel, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens, über Lebensmittelverschwendung in Deutschland, was sie kostet – und was man dagegen tun kann.

 

Bild: von Borstel

Bild: von Borstel

Torsten von Borstel von den Plankstadter Green Guides erklärt, wie Gastronomiebetriebe Kosten sparen können – und gleichzeitig die Umwelt schützen. Bild: von Borstel

 

Dass Lebensmittelverschwendung in Deutschland viel zu große Ausmaße hat, ist bereits bekannt. Können Sie ein paar Zahlen nennen, um die Dimensionen zu verdeutlichen?

Global betrachtet landet ein Drittel der produzierten Lebensmittel in der Tonne. Mit dem, was wir weltweit produzieren, könnten wir problemlos 10 Milliarden Menschen ernähren – es gäbe keinen Hunger auf dieser Erde. In Deutschland fallen pro Jahr ca. 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfall an – verteilt auf die fünf Bereiche Landwirtschaft, Industrie, Einzelhandel, Konsumenten und Außer-Haus-Verpflegung. Die wiederum reicht von der kleinen Dönerbude bis zur großen Zentralküche. Die Green Guides GmbH konzentriert sich auf diesen Bereich.

Welche Art Abfälle gibt es?

In der Landwirtschaft kann das die krumme Gurke sein, die untergepflügt wird, weil sie nicht der Norm entspricht. In der Industrie gibt es Produktionsabfälle, im Einzelhandel wird alles, was nicht dem Mindesthaltbarkeitsdatum entspricht, entsorgt. Wir als Verbraucher kaufen oft zu viel ein und werfen dann entsprechend viel weg. Und die Gastronomie hat daran auch ihren Anteil.

Welche Folgen hat das für die Umwelt?

Es braucht sehr viel Ressourcen, Lebensmittel zu produzieren und auf den Teller zu bringen. Pro Jahr entspricht die Menge des Wassers, das weltweit verschwendet wird – nicht genutzt, sondern nur verschwendet – schätzungsweise der zehnfachen Menge des Wassers, das den Rhein herunterfließt. Das klingt unheimlich viel, aber wenn man sich verdeutlicht, dass eine einzelne Avocado umgerechnet 4.000 Liter Wasser braucht, vom Anbau bis zur Ernte und ein Kilo Rindfleisch sogar 15.000 Liter, dann kommt das recht schnell zusammen. Da haben wir alle die Verantwortung, weniger zu verschwenden.

Und für die Unternehmen, die Sie beraten?

Vor allem natürlich hohe Kosten. Wenn man hier Maßnahmen ergreift und die Lebensmittelabfälle reduziert, lässt sich unheimlich viel Geld sparen. Schauen wir uns beispielsweise ein Krankenhaus mit 1.000 Betten an: Wenn das seine Speiseabfälle um 30 Prozent reduziert, spart es ca. 40.000-80.000 Euro pro Jahr. Natürlich schont das dann im zweiten Schritt auch Ressourcen wie Wasser und Anbauflächen und die Kunden können ihre Klimabilanz verbessern: Wir haben einen CO2-Indikator pro Kilogramm Speiseabfall ermittelt; am Ende können wir bilanzieren, wie viel CO2-Treibhausgasemissionen vermieden wurden.

Aus welchen Branchen stammt Ihre Kundschaft?

Da ist die ganze Spannbreite aller gastronomischen Betriebe in Deutschlandvertreten: Es geht von Individualgastronomie, Verkehrsgastronomie über Gemeinschaftsverpflegung, klassische Großküchen, Schulverpflegung, Betriebsküchen, Hotels bis hin zu Krankenhäusern. Insgesamt haben wir bundesweit schon über 1.000 Analysen durchgeführt. Vom Kindergarten über JVA-Einrichtungen, Seniorenheime und auch Restaurants.

Wo fällt am meisten Food Waste an?

Das kann man nicht pauschalisieren. Aber ein klassisches A-la-carte-Restaurant produziert weniger Abfall: Was da nicht verbraucht wird, bleibt im Kühlschrank und kann am nächsten Tag noch verarbeitet werden. In einer Großküche hingegen, im Krankenhaus etwa, müssen Speisen, die nicht verwendet werden, im Anschluss aufgrund der Warmhaltezeiten bzw. der Kühlkette entsorgt werden. Nehmen wir das Beispiel eines Joghurts: Der geht mittags auf dem Tablett zum Patienten. Der mag die Sorte aber nicht, lässt den Joghurt stehen, der geht also ungeöffnet zurück. Weil er aber die Kühlkette verlassen hat, muss er aufgrund der Hygiene- und Lebensmittelrichtlinien entsorgt werden. Gleiches gilt für Hotels, insbesondere solche mit großen Buffets: Alles was beim Gast war und übrigbleibt, wird entsorgt. Das ist auch sinnvoll, vor allem bei Fisch oder Molkereiprodukten. Diese Hygienerichtlinien wollen wir also nicht ändern. Stattdessen gilt es, auf Basis dieser Richtlinien Prozesse, Schnittstellen und Einkauf zu optimieren. Also letztlich weniger einkaufen und effizienter für die Gäste produzieren.

An welcher Stelle setzt Ihr Unternehmen den Hebel an?

Wir messen erst den Speiseabfall. Es gibt verschiedene Stellen, wo Abfälle entstehen können in einem Küchenprozess: Wenn Sie einen Salat putzen, haben Sie 30 Prozent Abfall. Wenn Sie eine Ananas putzen, haben Sie sogar 80 Prozent Abfall. Das sind die sogenannten Rüst- und Putzabfälle. Die sind so gut wie gar nicht vermeidbar, das sind klassische Produktionsabfälle. Dann gibt es natürlich die Überproduktion: Es wurden zu viele Schnitzel produziert, zu viele Salate angerichtet, die in Form eines Buffets beim Gast vorgehalten werden, was dann gar nicht erst verkauft oder ausgegeben wird. Dann gibt es noch den Tellerrücklauf: Was kommt vom Gast zurück, was hat er nicht aufgegessen? Und letztlich das Lager: Was wurde vielleicht vorgehalten und muss entsorgt werden, bevor es überhaupt je gebraucht wird? In einem Zeitraum von vier Wochen messen wir die einzelnen Stellen und schauen, an welcher der meiste Abfall entsteht. Dafür nutzen wir ein eigenes digitales Abfall-Messsystem und gleichzeitig betreuen wir die Kunden im Hintergrund, überlegen wie und wo wir messen können. Wir sorgen für eine hohe Datengüte.

Wie sieht der nächste Schritt aus?

Wenn wir wissen, wo die meisten Abfälle entstehen, entwickeln wir mit dem Auftraggeber, insbesondere natürlich in Zusammenarbeit mit dem Küchenteam, Lösungen: Wie können wir Einkauf, Planung, Verarbeitung, Ausgabe optimieren? Hier finden wir pragmatische Lösungen und Maßnahmen. Wenn die sich verstetigt haben, wird eine zweite Abfallmessung durchgeführt, so können wir nachprüfen und aufzeigen, wo und wie die Maßnahmen greifen – und wo man vielleicht nochmal nachfassen muss.

Welche Maßnahmen gibt es denn konkret?

Der größte Hebel sind die Produktionsmengen. Wenn ich weiß, wie viele Gäste ich täglich habe, dann kaufe ich weniger ein, produziere weniger, bringe nur das auf den Teller, was auch letztlich gegessen wird.

Und wie stellen Sie das fest?

Da arbeiten wir mit Algorithmen, bei denen wir eine Historie der Kassendaten ziehen und die Gerichte in Kategorien einteilen: Es gibt Renner, Penner und Schläfer. Aufgrund der Kassendaten können wir dann Prognosen für den täglichen bzw. wöchentlichen Verkauf abgeben. Einfaches Beispiel: In Betriebsrestaurants sind, gerade jetzt in Zeiten von Home Office, montags und freitags zwei Drittel weniger Gäste im Betrieb. Viele bieten trotzdem die ganze Woche über die gleiche Menge an Essen an. Hier kann man recht einfach nachregeln. Und dann gehen wir auch richtig ins Detail, also die Planung und Optimierung der Küchenprozesse: Wie sieht der Kellenplan aus, wie viel schöpfe ich auf den Teller? Welche Gebindegrößen und Gefäße verwende ich? Was kommt in welchen Mengen wann in die Ausgabe? So wird nur das ausgegeben, was auch abgenommen wird, der Rest bleibt in der Kühlung und kann am nächsten Tag als Angebot des Tages serviert werden.

Frustriert es Sie manchmal, wenn Sie mit Verschwendung konfrontiert sind?

Nein und Ja. Wenn man sieht, wie viel essbare Lebensmittel tagtäglich in der Tonne landen, macht man sich schon so seine Gedanken. Wir sind aber nicht angetreten, um den moralischen Zeigefinger zu heben oder die gastronomische Branche zu verurteilen. Im Gegenteil, wenn ein Unternehmen zu uns kommt, ist das eine Riesenchance, wieder etwas zu verbessern – für alle Beteiligten, die Unternehmen, die Kunden, die Umwelt. Für uns sind pragmatische Lösungen wichtig.

Stammen Ihre Kunden mehrheitlich aus dem Rhein-Neckar-Raum?

Im Gegenteil tatsächlich die wenigsten. Wir sind bundesweit tätig und mit unserem Angebot ein ziemlicher Exot, fast einmalig. Das digitale Abfallmesssystem mit ganzheitlicher Beratung und Coaching, das gibt es sonst so nicht.

Was bedeutet der Standort Rhein-Neckar-Kreis dann für Sie?

Wir wirken von hier, da wir von hier aus überall sehr gut hinkommen, die Anbindung ist hervorragend. So haben wir die besten Voraussetzungen, aus der Mitte in ganz Deutschland agieren zu können.

Was würden Sie sich für oder von diesem Standort künftig wünschen?

Auch da gilt mein Wunsch nicht nur für diesen Standort, sondern für ganz Deutschland: Nicht nur reden, sondern handeln. Wie sehr es sich lohnt, merkt man, wenn man sich einmal auf den Weg begeben hat. Was wir heute wegwerfen, fehlt uns morgen.